12/12/2013

MORRISSEY: Autobiography

Während MORRISSEY wieder einmal auf der Suche nach einem Label ist, fand sich für seine lang ersehnte "Autobiography" schnell der Verlag schlechthin: Penguin Books. Die Lebenserinnerungen erscheinen sogar in der legendären "Classics"-Reihe und verweisen so schonmal auf das nicht zu kleine Ego des Autors, das durch den riesigen Erfolg endlich wieder ein paar (verdiente) Streicheleinheiten bekommen hat. In Großbritannen, der Heimat, zu der Morrissey eine gespaltene Beziehung hat, schnellte es sofort auf Platz Eins der Bestseller-Listen.

Wie wichtig Morrissey Platzierungen sind, lässt sich im Buch immer wieder beobachten: Sämtliche Singles werden mit der entsprechenden Charts-Platzierung erwähnt - plus des jeweiligen Befremdens, nicht auf Nummer Eins mit dem für vielen besten Album aller Zeiten ("The Queen is dead") gelandet zu sein. Was es jedoch zum ersten Mal schafft, ist schließlich Morrisseys erstes Solo-Album nach der sehr merkwürdigen Trennung der "Smiths": "Viva Hate".


Die schmerzhafte Trennung der Band nimmt jedoch weniger Raum ein als der Gerichtsprozess um Tantiemen, den Schlagzeuger Mike Joyce anstrengte und Morrissey sichtlich verwüstet zurückließ. Aus dem Prozess mündete sein bitteres Album "Maladjusted" und in seinen Erinnerungen richtet er den zuständigen Richter mit messerscharfen Worten und einem brillanten Plädoyer regelrecht hin. Er arbeitet geschickt heraus, wie wenig es diesem Mann zusteht, über ihn zu urteilen und weist ihm einen Platz bei den lächerlichen Figuren in der Literaturgeschichte zum Thema Justiz zu. Während man selbst oft denkt bei all den Irrtümern im Prozess, ist Morrissey tatsächlich in einen kafkaesquen Alptraum geraten, weist er selbst auf einen weiteren Klassiker des Penguin-Verlags hin: "Bleak House, indeed".





Morrissey spart nicht mit Referenzen zu anderen Künstlern oder Autoren, er erinnert sich auch an die Fernsehserien seiner Kindheit und es ist eine Freude zu lesen, dass der kleine Morrissey gebannt vor den Puppenserien von GERRY ANDERSON saß und vor allem die Figur "Marina" liebte, die auch schon auf einem SUBLIME-Flyer zu sehen war: "Thunderbirds, of course they are puppets, yet they are as real as I am". Am meisten hat ihn "Man in a Suitcase" beeindruckt, eine wirklich fantastische und harte Serie über einen Agenten, meisterhaft gespielt von Richard Bradford, dessen Vorname in der Serie nie erwähnt wird und er immer nur McGill genannt wird - genauso wie Morrissey immer Morrissey heißen wird. Bradford ist übrigens auf dem Single-Cover von "Panic" zu sehen, wie alle "Smiths"-Cover ist auch dies von Morrissey gestaltet:




In oft brüllend komischen Beschreibungen erzählt er von merkwürdigen Treffen mit anderen Künstlern wie zum Beispiel David Bowie, den er an der Frühstücksbar eines Hotels trifft und es entspinnt sich folgendes Gespräch: "David quietly tells me, 'You know, I've had so much sex and drugs that I can't believe I'm still alive,' and I loudly tell him, 'You know, I've had SO LITTLE sex and drugs that I can't believe I'm still alive.'" 
Zu Siouxsie fällt ihm die Geschichte ein, welches Video sie für ihr gemeinsames Duett "Interlude" vorschlägt: Sie bewirft ihn konstant mit Steinen im Park. Und es gibt berührende Erinnerungen, vor allem die an Kirsty MacColl, die viel zu früh verstorbene Sängerin, die in einigen Smiths-Lieder die Background-Stimme war. 
In den USA erscheint das Buch seltsamerweise ohne den Hinweis auf seine homosexuelle Beziehung zu dem Fotografen Jake Owen Walters, von dem er schreibt: "For the first time in my life the eternal "I" becomes "we", as finally, I can get on with someone". Den amerikanischen Lesern bleibt vorenthalten, wie Jake Morrissey ein Tee an die Badewanne bringt oder Morrissey sich auf dem nackten Bauch Jakes fotografieren lässt:




Auf wessen Entscheidung hin diese Kürzung vorgenommen wurde, ist noch nicht bekannt. Ob Morrissey hier wieder "zensiert" wurde, wie er es oftmals im Buch beklagt? Ihm war es offenbar egal, dass sich die britische Presse nur auf die verwertbaren Teile seiner Autobiographie stürzen würde und diese sind natürlich sexueller Natur. Morrissey schreibt über die zwei wichtigen Beziehungen in seinem Leben allerdings so dezent, dass kein Boulevard-Journalist hier genügend Material haben könnte. Tja, auch wenn selbst die "Bild" über die erste Beziehung Morrisseys mit erst 35 Jahren - "zu einem Mann!" - schreibt, bleibt der private Morrissey im Buch wenig fassbar. Wahrscheinlich, weil es keinen privaten und öffentlichen Morrissey gibt, wie er immer wieder suggeriert. Wenn er darüber schreibt, dass er in seiner Beziehung zu Tina Dehghani von der Überlegung spricht ein "mewling miniature monster" in die Welt zu setzen, wirkt das wie aus einer Zeile seiner Songs entsprungen.


Immer wieder fängt Morrissey seine Leser mit Zitaten aus Smiths- oder Solo-Songs ein, die die Situationen in seinem Leben illustrieren: Was war zuerst da? Das Leben oder die Erinnerung daran? Eine Autobiographie gestaltet immer Erinnerungen, lässt aus, verdichtet und dichtet auch um: Der Leser - und in diesem Fall insbesondere der Fan - geht mit dem Autor einen "autobiographischen Pakt" ein, wie der Literaturwissenschaftler Philippe Lejeune dies formuliert hat. Für ihn ist die literarische Autobiographie ein ”besonders interessanter Sonderfall eines umfassenderen Phänomens. Jeder trägt so etwas wie eine ständig überarbeitete Rohfassung seiner Lebensgeschichte in sich". So wie die Anhänger Morrisseys Autobiographie vertrauen werden, werden die Kritiker ihm misstrauen. Und wie viele Autobiographen zementiert auch er seinen Mythos mit einer Art ersten Erinnerung und schreibt in wirklich unübertreffbarem Oscar-Wilde-Stil: "Naturally my birth almost kills my mother, for my head is too big". Klaus Mann beschäftigte sich auch mit diesem Problem der Ersterinnerungen in Autobiographen und fragt: ”Womit beginnen? Am Anfang ist die Dunkelheit. Aus der Dunkelheit wächst die Legende. Wir bewahren unsere ersten Erinnerungen, so wie die Menschheit sich die frühen Abenteuer merkt: als Mythos.” (Klaus Mann: "Kind dieser Zeit"). Auch Morrissey schafft mit diesem Satz einen persönlichen Mythos, den vom ewig leidenden und anderen Leid bringenden Einsamen und Kompromisslosen.


Warum ihm die britischen Medien und Kritiker oftmals misstrauen und seine Songs niemals im englischen Radio gespielt werden, erklärt Morrissey so: Seine Alben zu kaufen, ist ein politisches Statement. In Südamerika, Skandinavien und vielen anderen Orten wird Morrissey vorbehaltlos geliebt, verstanden und verehrt, wie er immer wieder in seinem Buch betont und was ihn wiederum verwundert. Am Ende sind seine Erinnerungen auch eine große Abrechnung, mit all denen, die ihm nicht vertrauen, denen am Ende jedoch nichts anderes übrig bleiben wird, denn seine Texte und Lieder bleiben für die Ewigkeit: 



"Don't rake up my mistakes 

I know exactly what they are
And ... what do YOU do ?
Well ... you just SIT THERE
I've been stabbed in the back
So many many times
I don't have any skin
But that's just the way it goes.

You'll never believe me, so 

Why don't you find out for yourself ?
Sick down to my heart
That's just the way it goes".

   

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