8/07/2012

TELLING STORIES

Welcher Musikbegeisterte kennt das nicht? Man ist 16 Jahre alt, wohnt in einer mittelgroßen Stadt und die Kultur wohnt dummerweise in der nächstgrößten Stadt. So erging das vielen und auch Tim Burgess, Sänger von THE CHARLATANS erlebte es so. Nur, dass bei ihm die Stadt Manchester hieß und die musikalische Sozialisation die legendäre Hacienda war, wo Bands wie "New Order" geboren wurde. Um zum "Epizentrum der Musik" zu kommen, musste der junge Burgess vom nächsten Ort Salford zu Fuß gehen, aber immerhin wurde die Strapaze damit belohnt, an Morrisseys Haus vorbeilaufen zu dürfen.
In seiner Autobiografie "Telling Stories" ("Tellin' Stories" hieß übrigens auch ein Album der Band), erzählt der Sänger in skizzenhafter Form sein verrücktes Leben nach und das Leben des britischen Undergrounds, das so manch anderes Leben verrückt hat.
Angefangen hat alles im örtlichen Plattenladen (das könnte heute kaum mehr passieren), wo sich die Subkultur der Stadt traf, unter anderem eine obskure Gruppe namens "Numanoids", die aus lauter obsessiven Gary-Numan-Fans bestand. Burgess selbst verehrte Gruppen wie "New Order" und "Joy Division", mit seiner Band wollte er jedoch einen Spritzer von Farbe und Optimismus in die damals doch eher düster geprägte Szene von Shoegaze-Noise-Bands wie "The Jesus and Mary Chain" bringen.
Mit ihrer treibender Musik, die ihren ganz typischen Sound durch die Hammond-Orgel erhielt, ist dies den Charlatans auch sicherlich gelungen. Und das obwohl die Charlatans oftmals als die wohl größten Pechvögel in der Musikgeschichte bezeichnet wurden, die gar einen Fluch auf sich geladen haben müssen: Sie verloren Bandmitglieder an Drogen, Gefängnisaufenthalte und einen tödlichen Autounfall, andere mussten mit der Diagnose Krebs und Hirntumor fertig werden - und Burgess selbst hat eine ziemlich heftige Drogenkarriere hinter sich. In einer Passage namens "Cocainus" beschreibt er detailliert wie sich die Bandmitglieder gegenseitig das Kokain in ein bestimmtes Körperteil bliesen. In einem anderen Kapitel erzählt er von dem sorglosen Umgang der Band mit Dealern, das filmreife Szenen enthält, denn ein Drogenverkäufer hielt Burgess sogar ein Messer an die Kehle. Inzwischen ist er clean, unter anderem dank des Transcendental Meditation Programms von David Lynch. Genauso nüchtern - und sogar mit einer gewissen Freude - wie Burgess seine Drogenzeit umreißt, genauso sachlich beschreibt er nun auch seine cleane Phase: Ohne Pathos oder Glorifizierung, einfach als ein wichtiger Bestandteil seines Lebens.
Die schönsten Charlatans-Tracks sind aber offenbar in einer nüchternen Phase entstanden, wie zum Beispiel "The only one I know", ihrem Megahit, den David Lynch sogar für seine oben bereits erwähnte Foundation als Werbesong verwendet. Burgess borgte sich den Titel des Klassikers von einem Song der unterschätzten und zu unrecht fast vergessenen Band "The Sundays": "You're not the only one I know". Doch in Burgess' Text geht es ganz im Gegenteil um den einen ganz speziellen Menschen...

Tim Burgess' Buch liest sich wie die Erinnerungen eines unerschütterlichen Optimisten, jemand der von sich sagt, dass er "verliebt ist in die Idee, verliebt zu sein". Jemand, der mit Schallplatten Gerüche verbindet, auch wenn es im Fall von Madonnas "Like a Prayer" ein Marketing-Coup des Labels war, der die Platte mit Patchouli-Duft versah: Burgess bleibt zuversichtlich, dass die Musik Leben retten kann. Am Ende der Erzählung fragt er sich, wo er heute stehe: Er ist immer noch verliebt, immer noch ein Punk und immer noch am Meditieren: "This is not the End".

In diesem Sinn hören wir nochmal in die schönsten Songs der CHARLATANS herein:

 


Keine Kommentare: