3/18/2013

LOVE IS A SHIELD(S): MY BLOODY VALENTINE LIVE

Um das altehrwürdige Gebäude des Londoner Hammersmith Apollo windet sich eine beträchtliche Schlange von Menschen, die alle auf ein Ereignis warten: Nach 22 Jahren neue Songs der Shoegaze-Legende MY BLOODY VALENTINE live und laut zu hören. Im Inneren des wunderschönen alten Art-Deco-Theaters sind bereits an jeder nur erdenklich möglichen Stelle Zettel aufgeklebt, auf denen man eindringlich auf den kostenlosen Gehörschutz hingewiesen wird: "Earplugs are available everywhere!". Und auch die Vorband "Le Volume Courbe" fragt besorgt nach, ob auch ja jeder welche genommen hat. Zum zweiten Abend nacheinander sind also am 13.03.13 ca. 5.000 Menschen gekommen, sich eine düsenjetlaute Band anzuhören, die niemals einen kommerziellen Erfolg hatte, jedoch prägend für Generationen von Musikenthusiasten war. Dennoch fragt man sich unwillkürlich, ob die meisten auch nur ansatzweise ahnen, was sie hier erwartet. Die Meute vor der Bühne wohl schon, einige davon wild entschlossen, auf den Gehörschutz zu pfeifen und ihre Ohren der Kunst zu opfern. In den oberen Rängen sitzt eine bunt gemischte Menge von 16 bis 60 Jahren und starrt gebannt auf das dunkle Loch vor ihnen, als unter lautem Gejohle vier Musiker stumm die Bühne betreten und psychedelischem Farbengewitter ein Inferno lostreten, das kompromisslos fast zwei Stunden andauern soll.

Die vier Musiker stehen während des Konzerts solitär: Die für ewig jung wirkendende Gitarristin und Sängerin Belinda Butcher haucht bezaubernd vor sich hin, während neben ihr und in der Mitte Bassistin Debbie Goodge die Band in einer strengen Metal-Manier vorantreibt, hinter ihr liefert Schlagzeuger Colm Ó Cíosóig ein beeindruckend präzises Spiel ab, während rechts Perfektionist und Mastermind Kevin Shields hinter vier Monitorboxen und unzähligen Effektgeräten stoisch Schicht für Schicht seines typischen Gitarrenspiels aufbaut und wie in einem extra Kokon ein- und angespannt wirkt. Dieses Bühnengehabe passt natürlich zur Legende Shields, der angeblich hinter Stacheldraht abgeschirmt im Norden Londons mit 20 Chinchillas zusammenlebt, niemals ans Telefon geht und in seiner Exzentrik zu einer Art Howard Hughes des Shoegaze wurde. Zusammen erschaffen diese vier Personen jedoch ein ohrenbetäubend schönes Klangmeer, wie hypnotisiert starrt man auf das Geschehen unter einem, das so wenig Ähnlichkeit mit einem üblichem Popkonzert hat. Einige Witzbolde rufen nach dem lautstarken und verzerrten Opener "I Only Said" mutig "Louder" - Nun das konnten sie haben, denn mit einem ihrer schönsten Songs "When You Sleep" hob die Band die Lautstärke noch einmal an und der Raum vibrierte förmlich. Es folgt wie in einem Rausch ein komplexes Klanggewitter nach dem anderen, bei "Soon" hält es viele nicht mehr auf den Sitzplätzen und einige versuchen gar die Bühne zu stürmen. Davon unbeeindruckt spielt die Band anschließend mit "You made me realise" den Höhepunkt des Abends, der eindrucksvoll klar macht, dass man hier keine gefällige Band hört: zehn Minuten, in denen die Zeit wirklich still zu stehen scheint - zehn Minuten, die von Sekunde zu Sekunde lauter werden (130 dB, das entspricht der Schmerzgrenze. Zum Vergleich: Ein Flugzeugtriebwerk erzeugt 120 dB) - zehn Minuten voller kakaphonischem schleifenartigen Wahnsinn - zehn Minuten, in denen Schicht für Schicht mehr Lärm aufgetragen wird - zehn Minuten, in denen MY BLOODY VALENTINE beweisen, dass sie tatsächlich zeitlos sind. Im Publikum indessen verstörte, verzückte, verklärte Gesichter - ob sie wissen, dass sie gerade den extrem zerstörenden Teil des Songs überlebt hatten, den die Band intern "The Holocaust" nennt? Der Song geht fast nahtlos in eines der wenig gespielten neuen Lieder über: "Wonder 2" bildet den würdigen Abschluss eines wunderbar überfordernden verstörend schönen Konzertes.

Entgegen dem Namen ihres Meilenstein-Albums "Loveless" macht das Konzert bewusst, dass die einzigartigen Lieder von MY BLOODY VALENTINE in einer Parallelrealität voller Liebe, Geborgenheit und Wärme schweben - und ergriffen geht man nach dem Konzert mit dem Gedanken "Love is a Shield(s)" in die kalte klare Londoner Nacht.


SETLIST:



  • I Only Said
  • When You Sleep 
  • New You 
  • You Never Should 
  • Honey Power
  • Cigarette in Your Bed 
  • Only Tomorrow 
  • Come in Alone 
  • Only Shallow 
  • Thorn 
  • Nothing Much to Lose 
  • To Here Knows When 
  • Slow 
  • Soon 
  • Feed Me With Your Kiss 
  • You Made Me Realise 
  • Wonder 2 
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